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Lyrik
Aus dem Gedichtband "Anständiges Mädchen"
erschienen im Herbst 2010 bei Edition Korrespondenzen, Wien
Aus dem Makedonischen von Alexander Sitzmann
Umgekehrte Perspektive
Dem Schicksal ist es endgültig recht gemacht worden:
Ich habe es in einer Thermoskanne von Moulinex eingeschlossen,
die seine Frische und seinen Geschmack bewahren wird,
ohne daß dabei die Karmas schal werden. Befreit von mir selbst
bewege ich mich durch die Vorhersagen, die sich nicht erfüllt haben,
wie durch das Highlife. Wichtig ist es, mit den Hüften zu wackeln.
Du hast Lippenstift auf den Zähnen, Honey. Ich weiß, einzig der Honig
geht direkt ins Blut. Und in mir
löst sich nur – Großmutter Vetka.
Schwester Aura weiß, daß ich jedes tiefgefrorene Huhn
zuerst einmal über die Herdplatte hielt
in Erwartung, daß es wieder lebendig wird,
erst dann, gedemütigt von den Aposteln,
warf ich es ins Backrohr von Silvia Plath.
Als Zeichen des Protests begannen die Athosmönche,
Jesuslatschen zu tragen.
Oh, wie schön du mir die Blasen auf meinen
Fersen küßt, A., diese Simulacra des Gesichtsorgans
in diesem Metaleben. Jetzt, wo Geschäfte existieren,
in denen man alles für nur einen Dollar kaufen kann,
mußt du entscheiden, ob du einen roten Schal um den Hals
tragen willst als Zeichen deiner Achtung vor den Aborigines,
so wird es ein Leichtes sein, ein Stipendium zu bekommen
für meine atavistische Akademie. Und dann wird es noch leichter:
Die Silva–Methode wäscht auch die dunkelsten Flecken
aus dem Trinkspruch zwischen den kulturellen Unterschieden,
unterbrochen nur durch den Gestank aus der Küche.
Die Gäste haben sich selbst aus der Thermoskanne mit Schicksal bedient,
und jetzt kochen sie mich in ihren Därmen wie einen Brei!
Ich weiß, daß es schrecklich unangenehm ist,
aber jemand von ihnen könnte mich wie eine Fäkalie auswerfen
mitten hinein in dein erotisches Chakra. Versuche – solange du
an das heilige, apostolische Häutchen der Kultur glaubst,
gewürzt mit Basilikum und knackig wie die Geschichte –
mich in eine Naturerscheinung zu verwandeln.
Nur, sei vorsichtig. Vielleicht führt jemand Tagebuch.
Aloe Vera
Wir haben das Gesicht des Toten eingeschmiert
mit einer Feuchtigkeitsmaske für trockene Haut,
und seine Nichte kniete sich vor den Sarg
und betete so: Los, Aloe Vera,
mach die Wangen von Onkel rosig, und du,
Mandelmilch, kitzle ihn um die Lippen herum,
ich weiß, daß ihn das auch aus dem tiefsten Schlaf erwecken wird,
eine Nachbarin warf ein, daß Aloe Vera Wunder bewirke,
ja sehe man es denn nicht an ihrer Haut,
wie die eines Babys, sagte sie, und sie geht schon auf die Fünfzig zu.
Alle drehten wir uns zu ihr um und vergaßen,
daß die Maske bei einem lebenden Menschen sieben Minuten einwirken soll,
bei einem Toten aber nur drei, das Gebet seiner Nichte endete,
die Maske zerbrach, wir begruben den Taxifahrer
ohne sein Gesicht, aber innerlich erfrischt. Auf dem Rückweg
stellte sich uns eine Frau im Umhang in den Weg,
mit einem Tablett voller roter Äpfel.
Es gibt so viele Wahrheiten wie Äpfel, sagte sie, bitteschön, bedient euch,
ist es denn nicht so, ihr Frischvermählten, daß das Überleben in dieser Welt
einzig abhängt von den erstmals Verliebten auf einer Mole
voll nicht wiederverwerteter Romantik? Sie muß verrückt sein,
dachte er sich, aber die Braut begann aus voller Kehle zu rufen:
„Siehst du? Und du läßt hundert Mal meine Hand los!“
und sie ließ sich von der Frisur scheiden, deretwegen sie das ganze Leben
unter einer Trockenhaube verbracht hatte, und das Begräbnis, von dem sie zurückkamen,
roch für sie nach dem Ozonloch. Der Tote steckte seine Hand in die Tasche,
und niemals wieder holte er sie in der Welt Einsteins hervor.
War das ein Begräbnis oder eine Hochzeit, Aloe Vera?
Wer traute wen? Wer begrub wen?
Erinnerung
Meine Erinnerung ist eine Soldatenkonserve mit Pastete
und unbegrenztem Haltbarkeitsdatum. Ich kehre an Orte zurück,
die ich mit nur einer Zunge im Mund betreten habe,
und den Einheimischen verrühre ich Eigelb für eine gute Stimme,
im Schnee aus Eiweiß liegt Jesus wie zum Scherz gekreuzigt,
für einen französischen Kuß sind zwei Zungen notwendig,
jetzt wo ich einige habe, bin ich nicht länger eine Frau, sondern ein Drache.
Auch ich habe wie der Heilige Georg nie gelernt,
künstlich zu beatmen, meine Nase ist seit Jahren verstopft,
und selbst atme ich durch fremde Nasenlöcher, die EU bezahlt.
Aha, an deiner Arbeit ist was faul, an deiner Arbeit ist was faul!
rufen hinter mir die gefallenen Engel,
die Altpapier und Plastik sammeln,
am liebsten habe ich sie, wenn sie ihre Betten in den Korridor
hinaustragen, um die DNS auszulüften,
dann legen A. und ich uns auf ihnen hin, jeder zu einer Seite,
und in einer genau ausgedachten Liebesumarmung
brechen uns alle Porzellanzähne ab,
unsere Gaumen verwandeln sich in weit aufgerissene Augen,
vor ihnen stellen sich die Zungen in der Dunkelheit ein Bein,
sie wiehern, winseln und stöhnen, aber wir haben weder Angst, noch tut es uns leid.
Meine Erinnerung ist eine Blackbox aus einem abgestürzten Kampfflugzeug
mit unbegrenztem Heimlichkeitsdatum. Ich kehre zu Orten zurück,
die ich nur mit einem Blut unter der Haut betreten habe,
den Einheimischen streiche ich die fruchtbaren Tage im
kleinen Kalender für Namenstage und Schutzheilige des Hauses durch,
die Haustiere sehnen sich nach wilden, die wilden nach gezähmten.
Wie ein jüdisches Paar an Fastentagen und Monatszyklen
so schlafen auch ich und Gott seit Jahren in getrennten Betten.
Lebende und Tote
Meine Nase juckt mich immer, wenn ich zum Friedhof komme.
Die Toten sind endgültig ruhig, aber nicht auch die,
die ihre Namen tragen. Die Nachfahren
wühlen zuerst in den Särgen mit Grundbriefen und einer trockenen Blume,
und danach trinken sie Zuckerwasser und öffnen die Fenster.
Was heißt da, dieses Geld ist nicht mehr gültig?
Den Klageweibern wird Kaffee serviert und ein Antiseptikum für den Hals.
Auch meine rechte Hand juckt mich, aber die Kerzen aus der Stadt
können nicht von selbst waagerecht tropfen.
In jedem Haus mit Großmutter restauriert ein Kind in den Ferien
die Heiligen aus dem Kalender voller Wachstropfen,
in jedem Haus mit Großvater werden Eierschalen auf dem Erinnerungsalbum abgelegt.
Nicht ein Mann aus meinem Volk ist an meiner Adresse gemeldet.
Obwohl ich von klein auf in einem Barbierladen zum Haareschneiden ging
und auf der Straße einen Onkel um den Kamm aus seiner Hosentasche hätte bitten können,
wenn um mich herum die Tanten Sets mit Haarbürsten und einem kleinen Spiegel öffneten.
Manche bekommen nie Läuse, anderen wurden die Köpfe geschoren.
Im Taufschein der Abtrünnigen führte der Priester das Bleichen des Haares ein,
bevor er es abschnitt. Einige Tage lang schickten wir massenhaft Mittel
für die alleinerziehende Mutter mit fünf an Epilepsie erkrankten Kindern,
aber als sie herauskam, um sich zu bedanken, hielten wir es nicht aus und riefen
„Sammeln wir etwa Geld, damit du dir die Haare färbst?“
Die Kinder hatten einen gleichzeitigen Anfall, sie strampelten neben der Mutter mit Wella 05
in verlangsamter Bewegung. Bei den Hip-Hop-Partys fließt aus den Wasserhähnen
nur heißes Wasser. Ich mußte den Wasserstoff austrinken. Die Toten
abspülen. Die aufgemuntert werden müssen wie die Erstkläßler im September:
„Das ganze Leben liegt vor dir, damit du alles lernst, was du wissen mußt“.
Das ganze Leben. Im Tod ist die Zeit ein Beutel mit Sportausrüstung für die Turnstunde.
Und bald wird es kein Kind mehr geben ohne T-Shirt Keep Dry und Turnschuhen Keep Fast.
Und bald wird es keinen Toten geben, der nicht mein sein wird.
Mt freundcher Genehmigung des Verlags Edition Korrespondenzen
Preisausschreiben
Auf die Preisfrage in der Macedonian Times:
„Was tun Sie, wenn Selbstmordgedanken Sie überkommen?“,
zu gewinnen ein siebentägiger Urlaub für zwei in Ohrid,
ein Wochenende für zwei in Disneyland in Paris
und weitere 50 Trostpreise,
bekamen wir genau 2479 Briefe und Postkarten,
und die beiden Hauptpreise
sprachen wir folgenden Antworten zu:
„Wenn mich Selbstmordgedanken überkommen,
stecke ich meinen Kopf in den Inhalator
und atme mit weit geöffnetem Mund tief ein,
bis meine Nase mit Echinacea verstopft ist
und die Sekrete ihre eigene Dialektik erleben,
danach trinke ich die erkaltete Mixtur bis auf den letzten Tropfen aus
und lebe mein Leben ohne Schleimhäute, aber mit schönen Gedanken weiter.“
(Kuzman Markovski, Dorf Budim, Kreis Prilep)
und
„Wenn mich Selbstmordgedanken überkommen,
ist für gewöhnlich die Katze eingesperrt und die Kartoffeln sprießen,
ein Gott mit den Maßen 90-60-90 treibt mich dazu, meine Hand in die Tasche zu stecken
in der Garage mit dem Notarztwagen,
während meine Frau aus der Küche aus voller Kehle ruft:
„Hörst du!!! Ich will ein runderneuerter Reifen sein,
ich will in der Autobörse beworben werden!“ Einen Augenblick wird mir schwarz vor Augen,
aber sofort darauf erscheint mir ein unendliches Licht.
Ich lasse die Katze raus, und aus den Kartoffeln binde ich einen Strauß,
aber meine Frau liegt schon seit drei Tagen auf dem Küchenboden
und rührt sich nicht,
nicht einmal dann, als ich ihr sage, daß ich sie nach Paris zur Alten Hexe mitnehmen werde“
(Kole Stojkovski, Pechčevo)
Wir, die anderen, die die Trostpreise gewonnen haben
(XXL T-Shirts mit der Aufschrift Das Leben ist schön
und Schlüsselanhänger mit Notrufnummern),
haben eine Gesellschaft für geschädigte Bürger gegründet
und den Herausgeber der Macedonian Times verprügelt.
Seither haben ihn keine mehr befallen,
weder Selbstmord-, noch Mordgedanken.
„Nie wieder Preisausschreiben!“, sagte er sich,
„bei denen sind nur Kreuzworträtsel eine sichere Sache“.
Aus dem Makedonischen von Alexander Sitzmann