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Lyrik
Jovica Ivanovski
Ivanovskis Lyrik „begeistert mit der Zusammensetzung von Erzählung, Ironie, Philosophemen und Poesie in einem. Diese vollkommene Mischung in Ivanovskis Poesie erzählt ungezwungen, sogar leger, vom persönlichen Alltag des Dichters und seiner Stadt. Auch seine neueren Gedichte bestätigen die These, dass das Gedicht nicht dazu neigt, etwas auszudrücken, sondern darzustellen und zu schildern. Seine Lyrik beschäftigt sich vor allem mit dem urbanen Alltag.“
Duško Krstevski in Reper.net
Ivanovskis Lyrik wirkt unmittelbar und nah, weil sie meistens das Allgemeinbekannte zum Thema hat, das, worüber sich jeder schon einmal Gedanken gemacht hat. Diese Gedanken sind „alltäglich“ oder „komisch“ und deswegen erwartet man sie nicht in einem Gedicht. Aber genau das macht Ivanovski, er hält sie in Versen fest, und für uns Leser ist es überraschend und erfreulich, sie in dieser lyrischen Form wiederzufinden. Es ist eine schöne Art der Erinnerung oder der Annäherung an manche unserer flüchtigen Gedanken, die wir als belanglos, lustig oder gewöhnlich verwerfen, die aber Ivanovski vertieft, hervorragend darstellt, analysiert und interpretiert.Rezension von Elizabeta Lindner Weiterlesen
Ausgewählte Lyrik
Aus dem Makedonischen von Elizabeta Lindner
Die Zigarette
Du öffnest die Schachtel
als wären es Pralinen,
daraus mustern zwanzig gerollte
Freiwillige deinen Mund,
als wäre er ein Aschenbecher;
in ihr Racins Helden und die
„Tabakgenossenschaft Prilep“
undurchdringliche Nebelfelder –
in deiner Lunge
potentielle Nikotinvergiftung
junger Irrtum alter Indianer
ihre Gefährten sind KAFFEE, DROGEN und ALKOHOL
Prometheus Zippo und Herr Streichholz,
am leckersten ist sie nach dem Essen und
nach dem Vögeln
(ist das nicht fast dasselbe)
sie ist gut auf der Straße und über der Tastatur
(lieber sie als ein ausgestreckter Mittelfinger zwischen dem
Zeige- und Ringfinger)
sie schmeckt besser als deine schmutzigen Nägel
eine Instant-Suchtbeschäftigung
zu teuer bezahlt
mit Überweisung und Visum für die Onkologie
manchmal raucht sie sich von selbst – am Grab
(oder sie raucht sich doch nicht von selbst)
sie lieben alle, die sagen, das Leben sei Schall und Rauch,
sie ist die beste Freundin, die alle aufgeben,
an der alle saugen, die alle beißen, einäschern
und dann wegwerfen und mit dem Schuh zertreten
als würden sie Twist oder Rock ’n Roll tanzen.
Das Telefonbuch
Ein weiterer Anachronismus
aufbewahrt im Keller gleich über
dem Lehrbuch des Marxismus’.
Die einstige Kommunikationsbibel,
dicker als das Alte Testament, fand
ein ruhmloses Ende, mit einem Kreuz auf der Stirn.
Der Zeigefinger leckt die Zunge
und durchblättert die Seiten schneller als Google,
er durchsucht sie mit seinem scharfen Nagel
als wäre er der Mauspfeil.
Früher, als man bei der 01188 (wegen der Kapazität
der Telefonzentrale) nur schwer durchkam,
merkte einzig es sich die Telefonnummern der Mädchen.
Es wurde vernichtet von der Mobiltelefonie,
genau wie die Postkutsche
von der Dampflokomotive.
Man findet es noch in Telefonzellen
in amerikanischen Filmen,
wo Typen mit schwachem Gedächtnis,
wegen einer einzigen Nummer,
die Seite des gesamten Stadtteils herausreißen.
Keiner liest es und deshalb
wird es nicht mehr gedruckt.
Eigentlich widerfährt ihm bereits seit langem
das Schicksal meiner Lyrik.
Mazedonische Schweißhochzeit
für Pepi Terzioski
Das Brautpaar, geschwollen von Küssen und rot von Lippenstiften,
steht vor den Ehrenstühlen und empfängt die Geschenke.
Hinter Unmengen von Blumensträußen sind ihre Gesichter kaum zu sehen.
Unauffällig schätzen sie ein, wie dick die Umschläge sind
und prosten einander fröhlich zu.
Die Eltern sind glücklich, aber immer noch unsicher.
Der Trauzeuge hat Lust auf die Trauzeugin
und in ein Paar Stunden wohl auch auf die Braut.
Die Reigentänzer warten ungeduldig darauf, dass der Brautwalzer
die Saison eröffnet.
(Wetten, dass diese wunderschöne, zurückhaltende Dame
in zwei Stunden auf dem Tisch einen Bauchtanz vorführen wird.)
Die Anzüge der Herren (mit Mottenkugeln aufbewahrt oder geliehen)
sehen hervorragend aus, aber nur auf dem Kleiderbügel oder über dem Stuhl.
Rote Wangen, gelockerte Krawatten und fliegende Kragen.
(Die Säufer lassen sich in statisch und unstatisch einteilen,
aber zweifelsohne sind die einen wie die anderen Spitzensänger.)
Die Kinder haben mehr Spaß als auf dem Rummelplatz.
Zwischen zwei Gängen entsteht ein Menschenblätterteig (Teig + Schweiß),
der sich an den Händen hält (die Nabelkette der Ewigkeit)
und im Massenorgasmus im Galaxienwirbel versinkt.
Die Musiker haben eine hohe Stirn, die Sängerin eine tiefe Deckung,
und der Profifotograf kann es kaum erwarten,
zum Stillleben zurückzukehren,
das in der schwarz-weißen Leica M6 ganz gewiss unstillbar bleibt.
„Kellner, ihr seid göttlich!“, – schreit der Alkohol.
„Säufer, ihr seid abscheulich!“, – sagen sich die Kellner,
und stehlen sich einige Minuten für ein Bisschen Tabak in der Küche.
Man hätte vielleicht erwartet, dass aus der mehrstöckigen Torte
der Ex der Braut mit einem Maschinengewehr herausspringt
und dem Trauerspiel der Freude zum Happyend verhilft.
Nichts von all dem.
Alle brechen auf, mit Abschiedsgruß oder ohne.
Reste von Unzucht der Epikureer,
und die erste, lang ersehnte Hochzeitsnacht,
in den Tiefschlaf fallen nach dem anstrengenden
Geldzählen und Pakete-Aufreißen
mit Nägeln und Zähnen.
Nach dem Sex
Wir steigen vom Kraterrand hinunter
und suchen unsere Unterhosen.
Die Zungen noch immer ineinander verwickelt,
damit sie bloß keine Dummheiten erzählen.
Wir wischen das Schwert ab oder holen den Schild heraus.
Vier Lippen rauchen eine Zigarette.
Vier Beine (übereinander unter der Decke)
wie Besteck in der Serviette.
Duschen (klar, wenn wir schon nackt sind).
Seliger Schlaf oder kurze Pause.
Ähnlich wie nach jedem neuen Gedicht.
Viel besser als nach dem Wichsen.
Jedenfalls eine angenehme Eustasie.
Siegreich ruhen auf dem Gipfel des Gebirges.
Alexander und Bukephalos nach der Eroberung Persiens.
Georg Friedrich Händel bevor er in Tiefschlaf fällt,
nach dem dreiwöchigen Krieg mit seinem Messias.
Ein Zwischenraum, der die Liebe bestätigt.
Etwas Einzigartiges und Rares.
Etwas, was wir sofort
wiederholen können,
wenn dein Ehemann
in der Arbeit die Zeit vergisst.
Morgendliches Gedicht
Ein Notizbuch mit abgenutztem Umschlag,
ein Bleistift mit dem Zeichen des Arbeitgebers,
ein Tisch dicht am dicken Walnussbaum,
frühmorgendlicher Frühlingsduft,
eine Zigarette, den Kaffee nicht abkühlen lassen
und Glück, Glücklichsein heißt einsam sein.
Weg von der Tastatur
weg von der Zweihöckrigkeit,
die mir mein Arbeitsplatz bringt,
weg von meinem (Nicht)Freundeskreis,
von dem ich zweideutig abhängig werde,
weg von meinen Eltern,
die mir immer noch die Windeln wechseln,
weg von meinem gestrigen Unschicksal.
Dieser Morgen hat den Duft der Frühlingsrastlosigkeit,
er bringt die Ankündigung baldiger, nicht zu vermeidender Veränderungen,
die die Unvermeidlichkeit des Veränderns mit sich bringt,
über den Blumenkästen auf den Balkonen wirft er mit Küssen um sich,
er winkt mit der Sonne von den blendenden weit geöffneten Fenstern,
er singt zusammen mit den Anzügen und Schuhen der Passanten,
er sitzt am Tisch neben mir und lehnt den Kaffee ab,
er tut sich wichtig (er weiß: wie der Morgen, so der Tag),
er schlendert um den Walnussbaum herum,
er späht in den Inhalt des Aschenbechers,
er hält meine Hand mit dem Bleistift fest,
er blättert die Seiten meines Notizbuchs durch.
Mit mir zusammen unterschreibt er dieses Gedicht
und bezahlt die Rechnung.
Mit mir zusammen geht er hinaus, hakt sich bei mir ein
und achtet darauf, dass mir nichts zustößt,
während ich die Straße überquere.
1986, Hotel Bristol, Skopje
Klar, schreibe ich auf alles
Na gut, ich ziehe Papier vor,
aber das heißt noch lange nicht, ich hätte
etwas gegen Servietten und Tischdecken.
Henri zeichnete, worauf er nur konnte,
warum sollte ich nicht schreiben, worauf ich nur kann
(scheiß drauf, ich bin kein Tennisspieler und mein
Spiel hängt nicht von der Unterlage ab).
Selbstverständlich kann ich auch auf Tischdecken schreiben,
aber am häufigsten tue ich es auf Servietten,
und danach putze ich mir die Nase damit.
Die Frau als Beifahrerin
Die Frau als Beifahrerin
verfügt über die halbe Windschutzscheibe
und über die Sonnenblende mit Spiegel.
Die Frau als Beifahrerin
hört nicht auf zu reden, aber dasselbe macht
sie auch zuhause, als Lebensgefährtin.
Die Frau als Beifahrerin
hat oft keinen Führerschein, aber das nimmt ihr
nicht das Recht, sich wie ein Fahrlehrer zu benehmen.
Die Frau als Beifahrerin
sollte (eigentlich) dem Mann als Fahrer denselben
Respekt erweisen wie die Stewardess dem Piloten.
Die Frau als Beifahrerin
sollte Minirock tragen, das wäre nicht verkehrt,
und schöne nackte Knie zeigen, dicht neben der Handbremse.
Die Frau als Beifahrerin
kann nützlich sein, wenn man einen „Platten“ hat
oder wenn das Auto kaputt geht und jemand schieben muss.
Die Frau als Beifahrerin
hat ein perfektes Profil im Fensterrahmen,
dahinter Acker und Misthaufen.
Die Frau als Beifahrerin
ist am schönsten, wenn sie schläft und du beginnst
die Fahrt zu genießen, und alles Notwendige tust,
um sie bloß nicht zu wecken.
Beerdigung
Die Kapelle ist eng und stickig –
sogar der Tote ist blass geworden.
Der Priester singt seit einer halben Stunde.
Singt, liest vor und rezitiert,
und wenn er so weitermacht, müssen
wir bald noch ein paar Gruben graben.
„Sehr schön hat das Priesterchen gesungen“, sagt eine Oma.
„Ja, ja, sehr schön“, antwortet eine andere.
Jeder der nahen Verwandten hält eine brennende Kerze,
ein ehrliches Gebet, das dem Toten
den Weg zu Gott erleuchtet.
Das Sündigen wurde ihm bereits mehrfach vergeben.
Der Körper wird bald das Tor der Ewigkeit passieren,
aber die Seele lebt noch und ist wahrscheinlich unter uns,
und niest wahrscheinlich unhörbar in den Weihrauchwolken.
Danach zwei linke und zwei rechte Arme.
Wagen, Deckel, Kreuz, Blumen und Kränze.
Und wieder der Priester
(ein junger Bauernlümmel mit Bärtchen)
der das Schlusswort spricht, während
die Totengräber einen primitiven Aufzug improvisieren.
Danach werfen die Lebenden eine Handvoll Erde hinein–
damit er in Frieden ruhen möge, Erde zu Erde.
Dann schüttet der Priester ein wenig Wein hinein,
damit er…
Danach sind wieder die Totengräber dran,
aber diesmal wirbeln sie soviel Staub auf,
dass alle kopflos vom Grab wegtreten,
als hätte sie jemand erschreckt,
als hätten sie einen Geist gesehen.
Herbst in Skopje
Es fallen Skaterkids,
Dachziegel von Herbsthäusern.
Es fällt Spucke. Die weißen Kaugummis
werden zu schwarzen Flecken auf den Gehsteigplatten.
Es fällt Reif, dann Sonnenschein, dann Nebel.
Es fallen Federn von Nichtzugvögeln,
Vatis und Opas auf Rollerblades,
freche Fußgänger auf Fußgängerinnen,
High-Heels auf Knie.
Es fallen die Blätter der Frauen
unter Baumstämme und auf Betten.
Alles fällt: die Brösel und die Börse,
das Grauen, das Trauen, das Vertrauen.
Bald fällt der erste Schnee
und in einigen Monaten auch der letzte.
Danach wird eine Zeit lang nichts fallen.
Und immer so, im Kreis, gleich und gelangweilt –
immer wieder, das und wieder das, aus der Leere ins Loch...
Bis die erste Erde fällt,
gestreut über deinen Sarg
in der Erde,
in einem sonnigen Spätherbst in Skopje,
kaum anders als dieser.
Ich male nicht,
ich mache Liebe mit der Leinwand
Baskenmütze und Mantel sind artistische
Dresscodes anderer Zeiten.
Ich male nackt, splitternackt.
Bin ganz befleckt von den Farben.
Bunt, vielfarbig, wie der Pfau,
der auf der Leinwand stolziert.
Ein Tropfen fällt mir auf den Schwanz,
der steif ist, denn
das Malen macht mich heiß.
Die Forelle und die Rotwein-Flasche
werden nicht als Stillleben enden –
den Wein trinke ich aus, und den Fisch
lasse ich auf dem Grund des Bildes schwimmen,
gleich unter der Muschel meiner Geliebten,
die für mich posiert, auch wenn sie nicht da ist.
Ich sehe sie, wie sie sich im Taxi schminkt,
wie sie die Eingangstür öffnet,
ins Bild hineingeht, als ginge sie
in die Badewanne, ins heiße duftende Bad,
und warte dass ich ihr den Rücken einreibe
mit meinem Malpinsel.
Entscheidung – endgültig
Mir sind alle scheißegal.
Ich werde den Leuchtturm ausschalten und
in meinem Familienhafen ankern.
Die meisten Pseudokumpel –
doppelzüngig, verschlossen, verborgen,
sollen zu Freunden heranwachsen,
die sich immer weiter von mir entfernen
und schließlich kaum mehr zu sehen sein werden –
mitten auf der Meeresoberfläche.
Und wenn ich sie dann mit erhobenen Händen sehe,
werde ich nicht wissen, ob sie mir zuwinken
oder nur ertrinken.
Gott bewahre, dass sie uns verstehen
wir sitzen in einer Kneipe und trinken Wein
und jammern wie Heulsusen über
unsere Frauen, die uns nicht verstehen
bald werden wir aufhören Freunde zu sein
werden aber mit unseren Gattinnen zusammenbleiben
die uns niemals verstehen werden
und uns wahrscheinlich nur deswegen
ertragen können
Das Bett
darin das erste Weinen und der letzte Atemzug
das erste Stöhnen und die letzte Erektion
zwischen dem Mutterkuchen und dem Familiengrab
ist es unser Hauptzwischenhalt
es prüft nach, ob wir unsere Zähne geputzt haben
bevor wir es umarmen
ob wir unsere Füße gewaschen haben oder ob es unter
unserem Geruch leiden wird
(und wir ziehen karierte Uniformen zum Träumen an
und gehen schlafen gehen schlafen gehen schlafen)
es weiß auf welcher Seite wir schlafen, wie wir vögeln
wann wir schnarchen
es kennt unser Gewicht besser als die Waagen
unsere Körperrundungen besser als unsere Freundinnen
hineingestiegen reisen wir um die Welt
und wandern weit, das Wachen auslachend
zwischen dem ersten Einnässen und dem letzten Truthahn
zwischen dem ersten Sabbern und dem letzten Samen
breitet sich Herr Bett aus
lang wie das ganze Leben
----------------------------
Ivanovskis Lyrik „begeistert mit der Zusammensetzung von Erzählung, Ironie, Philosophemen und Poesie in einem. Diese vollkommene Mischung in Ivanovskis Poesie erzählt ungezwungen, sogar leger, vom persönlichen Alltag des Dichters und seiner Stadt. Auch seine neueren Gedichte bestätigen die These, dass das Gedicht nicht dazu neigt, etwas auszudrücken, sondern darzustellen und zu schildern. Seine Lyrik beschäftigt sich vor allem mit dem urbanen Alltag.“
Duško Krstevski in Reper.net
Ivanovskis Lyrik wirkt unmittelbar und nah, weil sie meistens das Allgemeinbekannte zum Thema hat, das, worüber sich jeder schon einmal Gedanken gemacht hat. Diese Gedanken sind „alltäglich“ oder „komisch“ und deswegen erwartet man sie nicht in einem Gedicht. Aber genau das macht Ivanovski, er hält sie in Versen fest, und für uns Leser ist es überraschend und erfreulich, sie in dieser lyrischen Form wiederzufinden. Es ist eine schöne Art der Erinnerung oder der Annäherung an manche unserer flüchtigen Gedanken, die wir als belanglos, lustig oder gewöhnlich verwerfen, die aber Ivanovski vertieft, hervorragend darstellt, analysiert und interpretiert.Rezension von Elizabeta Lindner Weiterlesen
Ausgewählte Lyrik
Aus dem Makedonischen von Elizabeta Lindner
Die Zigarette
Du öffnest die Schachtel
als wären es Pralinen,
daraus mustern zwanzig gerollte
Freiwillige deinen Mund,
als wäre er ein Aschenbecher;
in ihr Racins Helden und die
„Tabakgenossenschaft Prilep“
undurchdringliche Nebelfelder –
in deiner Lunge
potentielle Nikotinvergiftung
junger Irrtum alter Indianer
ihre Gefährten sind KAFFEE, DROGEN und ALKOHOL
Prometheus Zippo und Herr Streichholz,
am leckersten ist sie nach dem Essen und
nach dem Vögeln
(ist das nicht fast dasselbe)
sie ist gut auf der Straße und über der Tastatur
(lieber sie als ein ausgestreckter Mittelfinger zwischen dem
Zeige- und Ringfinger)
sie schmeckt besser als deine schmutzigen Nägel
eine Instant-Suchtbeschäftigung
zu teuer bezahlt
mit Überweisung und Visum für die Onkologie
manchmal raucht sie sich von selbst – am Grab
(oder sie raucht sich doch nicht von selbst)
sie lieben alle, die sagen, das Leben sei Schall und Rauch,
sie ist die beste Freundin, die alle aufgeben,
an der alle saugen, die alle beißen, einäschern
und dann wegwerfen und mit dem Schuh zertreten
als würden sie Twist oder Rock ’n Roll tanzen.
Das Telefonbuch
Ein weiterer Anachronismus
aufbewahrt im Keller gleich über
dem Lehrbuch des Marxismus’.
Die einstige Kommunikationsbibel,
dicker als das Alte Testament, fand
ein ruhmloses Ende, mit einem Kreuz auf der Stirn.
Der Zeigefinger leckt die Zunge
und durchblättert die Seiten schneller als Google,
er durchsucht sie mit seinem scharfen Nagel
als wäre er der Mauspfeil.
Früher, als man bei der 01188 (wegen der Kapazität
der Telefonzentrale) nur schwer durchkam,
merkte einzig es sich die Telefonnummern der Mädchen.
Es wurde vernichtet von der Mobiltelefonie,
genau wie die Postkutsche
von der Dampflokomotive.
Man findet es noch in Telefonzellen
in amerikanischen Filmen,
wo Typen mit schwachem Gedächtnis,
wegen einer einzigen Nummer,
die Seite des gesamten Stadtteils herausreißen.
Keiner liest es und deshalb
wird es nicht mehr gedruckt.
Eigentlich widerfährt ihm bereits seit langem
das Schicksal meiner Lyrik.
Mazedonische Schweißhochzeit
für Pepi Terzioski
Das Brautpaar, geschwollen von Küssen und rot von Lippenstiften,
steht vor den Ehrenstühlen und empfängt die Geschenke.
Hinter Unmengen von Blumensträußen sind ihre Gesichter kaum zu sehen.
Unauffällig schätzen sie ein, wie dick die Umschläge sind
und prosten einander fröhlich zu.
Die Eltern sind glücklich, aber immer noch unsicher.
Der Trauzeuge hat Lust auf die Trauzeugin
und in ein Paar Stunden wohl auch auf die Braut.
Die Reigentänzer warten ungeduldig darauf, dass der Brautwalzer
die Saison eröffnet.
(Wetten, dass diese wunderschöne, zurückhaltende Dame
in zwei Stunden auf dem Tisch einen Bauchtanz vorführen wird.)
Die Anzüge der Herren (mit Mottenkugeln aufbewahrt oder geliehen)
sehen hervorragend aus, aber nur auf dem Kleiderbügel oder über dem Stuhl.
Rote Wangen, gelockerte Krawatten und fliegende Kragen.
(Die Säufer lassen sich in statisch und unstatisch einteilen,
aber zweifelsohne sind die einen wie die anderen Spitzensänger.)
Die Kinder haben mehr Spaß als auf dem Rummelplatz.
Zwischen zwei Gängen entsteht ein Menschenblätterteig (Teig + Schweiß),
der sich an den Händen hält (die Nabelkette der Ewigkeit)
und im Massenorgasmus im Galaxienwirbel versinkt.
Die Musiker haben eine hohe Stirn, die Sängerin eine tiefe Deckung,
und der Profifotograf kann es kaum erwarten,
zum Stillleben zurückzukehren,
das in der schwarz-weißen Leica M6 ganz gewiss unstillbar bleibt.
„Kellner, ihr seid göttlich!“, – schreit der Alkohol.
„Säufer, ihr seid abscheulich!“, – sagen sich die Kellner,
und stehlen sich einige Minuten für ein Bisschen Tabak in der Küche.
Man hätte vielleicht erwartet, dass aus der mehrstöckigen Torte
der Ex der Braut mit einem Maschinengewehr herausspringt
und dem Trauerspiel der Freude zum Happyend verhilft.
Nichts von all dem.
Alle brechen auf, mit Abschiedsgruß oder ohne.
Reste von Unzucht der Epikureer,
und die erste, lang ersehnte Hochzeitsnacht,
in den Tiefschlaf fallen nach dem anstrengenden
Geldzählen und Pakete-Aufreißen
mit Nägeln und Zähnen.
Nach dem Sex
Wir steigen vom Kraterrand hinunter
und suchen unsere Unterhosen.
Die Zungen noch immer ineinander verwickelt,
damit sie bloß keine Dummheiten erzählen.
Wir wischen das Schwert ab oder holen den Schild heraus.
Vier Lippen rauchen eine Zigarette.
Vier Beine (übereinander unter der Decke)
wie Besteck in der Serviette.
Duschen (klar, wenn wir schon nackt sind).
Seliger Schlaf oder kurze Pause.
Ähnlich wie nach jedem neuen Gedicht.
Viel besser als nach dem Wichsen.
Jedenfalls eine angenehme Eustasie.
Siegreich ruhen auf dem Gipfel des Gebirges.
Alexander und Bukephalos nach der Eroberung Persiens.
Georg Friedrich Händel bevor er in Tiefschlaf fällt,
nach dem dreiwöchigen Krieg mit seinem Messias.
Ein Zwischenraum, der die Liebe bestätigt.
Etwas Einzigartiges und Rares.
Etwas, was wir sofort
wiederholen können,
wenn dein Ehemann
in der Arbeit die Zeit vergisst.
Morgendliches Gedicht
Ein Notizbuch mit abgenutztem Umschlag,
ein Bleistift mit dem Zeichen des Arbeitgebers,
ein Tisch dicht am dicken Walnussbaum,
frühmorgendlicher Frühlingsduft,
eine Zigarette, den Kaffee nicht abkühlen lassen
und Glück, Glücklichsein heißt einsam sein.
Weg von der Tastatur
weg von der Zweihöckrigkeit,
die mir mein Arbeitsplatz bringt,
weg von meinem (Nicht)Freundeskreis,
von dem ich zweideutig abhängig werde,
weg von meinen Eltern,
die mir immer noch die Windeln wechseln,
weg von meinem gestrigen Unschicksal.
Dieser Morgen hat den Duft der Frühlingsrastlosigkeit,
er bringt die Ankündigung baldiger, nicht zu vermeidender Veränderungen,
die die Unvermeidlichkeit des Veränderns mit sich bringt,
über den Blumenkästen auf den Balkonen wirft er mit Küssen um sich,
er winkt mit der Sonne von den blendenden weit geöffneten Fenstern,
er singt zusammen mit den Anzügen und Schuhen der Passanten,
er sitzt am Tisch neben mir und lehnt den Kaffee ab,
er tut sich wichtig (er weiß: wie der Morgen, so der Tag),
er schlendert um den Walnussbaum herum,
er späht in den Inhalt des Aschenbechers,
er hält meine Hand mit dem Bleistift fest,
er blättert die Seiten meines Notizbuchs durch.
Mit mir zusammen unterschreibt er dieses Gedicht
und bezahlt die Rechnung.
Mit mir zusammen geht er hinaus, hakt sich bei mir ein
und achtet darauf, dass mir nichts zustößt,
während ich die Straße überquere.
1986, Hotel Bristol, Skopje
Klar, schreibe ich auf alles
Na gut, ich ziehe Papier vor,
aber das heißt noch lange nicht, ich hätte
etwas gegen Servietten und Tischdecken.
Henri zeichnete, worauf er nur konnte,
warum sollte ich nicht schreiben, worauf ich nur kann
(scheiß drauf, ich bin kein Tennisspieler und mein
Spiel hängt nicht von der Unterlage ab).
Selbstverständlich kann ich auch auf Tischdecken schreiben,
aber am häufigsten tue ich es auf Servietten,
und danach putze ich mir die Nase damit.
Die Frau als Beifahrerin
Die Frau als Beifahrerin
verfügt über die halbe Windschutzscheibe
und über die Sonnenblende mit Spiegel.
Die Frau als Beifahrerin
hört nicht auf zu reden, aber dasselbe macht
sie auch zuhause, als Lebensgefährtin.
Die Frau als Beifahrerin
hat oft keinen Führerschein, aber das nimmt ihr
nicht das Recht, sich wie ein Fahrlehrer zu benehmen.
Die Frau als Beifahrerin
sollte (eigentlich) dem Mann als Fahrer denselben
Respekt erweisen wie die Stewardess dem Piloten.
Die Frau als Beifahrerin
sollte Minirock tragen, das wäre nicht verkehrt,
und schöne nackte Knie zeigen, dicht neben der Handbremse.
Die Frau als Beifahrerin
kann nützlich sein, wenn man einen „Platten“ hat
oder wenn das Auto kaputt geht und jemand schieben muss.
Die Frau als Beifahrerin
hat ein perfektes Profil im Fensterrahmen,
dahinter Acker und Misthaufen.
Die Frau als Beifahrerin
ist am schönsten, wenn sie schläft und du beginnst
die Fahrt zu genießen, und alles Notwendige tust,
um sie bloß nicht zu wecken.
Beerdigung
Die Kapelle ist eng und stickig –
sogar der Tote ist blass geworden.
Der Priester singt seit einer halben Stunde.
Singt, liest vor und rezitiert,
und wenn er so weitermacht, müssen
wir bald noch ein paar Gruben graben.
„Sehr schön hat das Priesterchen gesungen“, sagt eine Oma.
„Ja, ja, sehr schön“, antwortet eine andere.
Jeder der nahen Verwandten hält eine brennende Kerze,
ein ehrliches Gebet, das dem Toten
den Weg zu Gott erleuchtet.
Das Sündigen wurde ihm bereits mehrfach vergeben.
Der Körper wird bald das Tor der Ewigkeit passieren,
aber die Seele lebt noch und ist wahrscheinlich unter uns,
und niest wahrscheinlich unhörbar in den Weihrauchwolken.
Danach zwei linke und zwei rechte Arme.
Wagen, Deckel, Kreuz, Blumen und Kränze.
Und wieder der Priester
(ein junger Bauernlümmel mit Bärtchen)
der das Schlusswort spricht, während
die Totengräber einen primitiven Aufzug improvisieren.
Danach werfen die Lebenden eine Handvoll Erde hinein–
damit er in Frieden ruhen möge, Erde zu Erde.
Dann schüttet der Priester ein wenig Wein hinein,
damit er…
Danach sind wieder die Totengräber dran,
aber diesmal wirbeln sie soviel Staub auf,
dass alle kopflos vom Grab wegtreten,
als hätte sie jemand erschreckt,
als hätten sie einen Geist gesehen.
Herbst in Skopje
Es fallen Skaterkids,
Dachziegel von Herbsthäusern.
Es fällt Spucke. Die weißen Kaugummis
werden zu schwarzen Flecken auf den Gehsteigplatten.
Es fällt Reif, dann Sonnenschein, dann Nebel.
Es fallen Federn von Nichtzugvögeln,
Vatis und Opas auf Rollerblades,
freche Fußgänger auf Fußgängerinnen,
High-Heels auf Knie.
Es fallen die Blätter der Frauen
unter Baumstämme und auf Betten.
Alles fällt: die Brösel und die Börse,
das Grauen, das Trauen, das Vertrauen.
Bald fällt der erste Schnee
und in einigen Monaten auch der letzte.
Danach wird eine Zeit lang nichts fallen.
Und immer so, im Kreis, gleich und gelangweilt –
immer wieder, das und wieder das, aus der Leere ins Loch...
Bis die erste Erde fällt,
gestreut über deinen Sarg
in der Erde,
in einem sonnigen Spätherbst in Skopje,
kaum anders als dieser.
Ich male nicht,
ich mache Liebe mit der Leinwand
Baskenmütze und Mantel sind artistische
Dresscodes anderer Zeiten.
Ich male nackt, splitternackt.
Bin ganz befleckt von den Farben.
Bunt, vielfarbig, wie der Pfau,
der auf der Leinwand stolziert.
Ein Tropfen fällt mir auf den Schwanz,
der steif ist, denn
das Malen macht mich heiß.
Die Forelle und die Rotwein-Flasche
werden nicht als Stillleben enden –
den Wein trinke ich aus, und den Fisch
lasse ich auf dem Grund des Bildes schwimmen,
gleich unter der Muschel meiner Geliebten,
die für mich posiert, auch wenn sie nicht da ist.
Ich sehe sie, wie sie sich im Taxi schminkt,
wie sie die Eingangstür öffnet,
ins Bild hineingeht, als ginge sie
in die Badewanne, ins heiße duftende Bad,
und warte dass ich ihr den Rücken einreibe
mit meinem Malpinsel.
Entscheidung – endgültig
Mir sind alle scheißegal.
Ich werde den Leuchtturm ausschalten und
in meinem Familienhafen ankern.
Die meisten Pseudokumpel –
doppelzüngig, verschlossen, verborgen,
sollen zu Freunden heranwachsen,
die sich immer weiter von mir entfernen
und schließlich kaum mehr zu sehen sein werden –
mitten auf der Meeresoberfläche.
Und wenn ich sie dann mit erhobenen Händen sehe,
werde ich nicht wissen, ob sie mir zuwinken
oder nur ertrinken.
Gott bewahre, dass sie uns verstehen
wir sitzen in einer Kneipe und trinken Wein
und jammern wie Heulsusen über
unsere Frauen, die uns nicht verstehen
bald werden wir aufhören Freunde zu sein
werden aber mit unseren Gattinnen zusammenbleiben
die uns niemals verstehen werden
und uns wahrscheinlich nur deswegen
ertragen können
Das Bett
darin das erste Weinen und der letzte Atemzug
das erste Stöhnen und die letzte Erektion
zwischen dem Mutterkuchen und dem Familiengrab
ist es unser Hauptzwischenhalt
es prüft nach, ob wir unsere Zähne geputzt haben
bevor wir es umarmen
ob wir unsere Füße gewaschen haben oder ob es unter
unserem Geruch leiden wird
(und wir ziehen karierte Uniformen zum Träumen an
und gehen schlafen gehen schlafen gehen schlafen)
es weiß auf welcher Seite wir schlafen, wie wir vögeln
wann wir schnarchen
es kennt unser Gewicht besser als die Waagen
unsere Körperrundungen besser als unsere Freundinnen
hineingestiegen reisen wir um die Welt
und wandern weit, das Wachen auslachend
zwischen dem ersten Einnässen und dem letzten Truthahn
zwischen dem ersten Sabbern und dem letzten Samen
breitet sich Herr Bett aus
lang wie das ganze Leben
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