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Drama
PERSONEN:
DIMITRIJA ANDREEVIĆ, 55, Behinderter, ehemaliger Maurer
MARIJA, seine Frau
ANDREJA, 22, ihr Sohn, Verkäufer im Krämerladen
STEFAN, 26, sein Bruder, Referent in der Filiale eines Autohändlers
SIMON, 30, der älteste Sohn in der Familie, Kellner
VERA, 25, seine Frau, Hausfrau
HERZOG, 55, Geschäftsführer der Filiale eines Autohändlers, Jude
SARA, 23, seine Tochter
HERMANN KLAUS, 45, ein Ankömmling aus Deutschland
DIE WAHRSAGERIN
SIVIĆ, 35, Berater in der Filiale
ADO, 23, Freund von Andreja, LKW-Fahrer
DIE PROSTITUIERTE
DER PRIESTER
GÄSTE BEIM EMPFANG, HANDLANGER, GASTSTÄTTENGÄSTE
Es passiert in Skopje, unmittelbar vor dem 2. Weltkrieg.
SZENE 1
(Das Hauptzimmer im Haus der Andreevićs, das mit drei anderen Zimmern und mit der Küche verbunden ist. Dimitrija sitzt im Rollstuhl. Liest eine Zeitung. Marija sitzt auf dem Bett. Sieht vor sich hin. Stille. Pause.)
DIMITRIJA: Es wird Krieg geben. (Pause.) Es wird Krieg geben. (Pause.)
MARIJA: Es reicht auch schon mit diesem Frieden. (Pause.)
DIMITRIJA: Was machst du? Starrst du ins Leere. Arbeite was.
MARIJA: Was soll ich denn arbeiten?
DIMITRIJA: Koche etwas zum Abendessen. Leute kommen.
MARIJA: Alles schon fertiggekocht.
DIMITRIJA: Koche etwas zum Mittagessen.
MARIJA: Fertig.
DIMITRIJA: Na dann, gib mir doch zum Essen.
MARIJA: Schreie mich nicht an. (Pause.) Morgen ist unser Hauspatronatsfest.
(Pause. Vera kommt herein. Bringt eine leere Wanne.)
VERA: Es wird regnen. Ich habe die Leinen umsonst aufgehängt.
MARIJA: Alles ist umsonst. (Pause.) Ich habe geträumt, dass ich entzweigeschnitten wurde. Und da wo die Wirbelsäule verläuft – gab es einen großen Wurm. Auch er ist durchgeschnitten und krümmt sich. Und jemand kommt und entfernt den Wurm. Und es schmerzt, wie wenn dir der Zahn gezogen wird.
VERA: Du träumst doch immer solche Träume.
MARIJA: Sie kommen von selbst.
DIMITRIJA: Wird man in diesem Haus etwas zum Essen bekommen?
VERA: Sie sind noch nicht da.
DIMITRIJA: Sie brauchen gar nicht kommen.
VERA: Lass uns doch noch ein wenig warten.
DIMITRIJA: Von mir aus, könnt ihr auch lange warten, wenn ihr wollt. Ich will aber jetzt essen.
VERA: Du frisst mich auf, verdammt noch mal. (Deckt den Tisch auf.) Was soll ich zuerst machen? Zusammenkehren, waschen oder kochen?
DIMITRIJA: Bring deiner Schwiegermutter was bei.
VERA: Lass sie in Ruhe.
DIMITRIJA: Gebäre dir eine Tochter, die dir hilft.
(Vera schluckt. Dimitrija isst. Stille. Pause. Simon kommt herein. Betrunken.)
SIMON: Ihr wartet nicht mal, damit wir gemeinsam essen.
DIMITRIJA: Als wir gewartet haben, kamst du nicht.
SIMON: Man darf nichts mehr sagen in diesem Haus. Ich werde zwei Kanister Benzin holen, es wird alles bis zum Himmel in Flammen aufgehen.
MARIJA: Bitte nicht alles verfluchen.
SIMON: Ich kann nicht alles verfluchen. Alles ist schon längst verflucht.
VERA: Wo hast du getrunken?
SIMON: Wo ich nur konnte, ehrlich gesagt.
VERA: Du hast dich kaputtgesoffen.
SIMON: Früher oder später wird mich sowieso etwas kaputtkriegen. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Du hast es leicht.
VERA: Ich habe es leicht. Ich habe es am leichtesten.
SIMON: Hast du Angst vor der Dunkelheit? Nein! Ich habe Angst. Hast du Angst vor der Sonne? Nein! Ich habe Angst. Hier würgt es mich, genau hier, ich habe einen Klotz stecken.
MARIJA: Du hast ein Haar im Hals stecken.
VERA: Den ganzen Tag bist du auf den Beinen.
SIMON: Wenn ich Kellner im Sitzen sein könnte, würde ich sitzen. Ich sagte nicht, ich hätte Krampfadern, die vom Stehen kommen. Mich würgt es hier, es quält mich. Ich esse nicht. Ich schlafe nicht.
DIMITRIJA: Aber du trinkst. Lass deinen Vater dir mal was sagen. Sag der Welt nicht, was dich quält. Die Welt will es nicht wissen. Wenn du was sagst, dann sag lieber was Schönes oder sag gar nichts. Wen geht es was an, dass du Angst vor Dunkelheit hast.
SIMON: Es wird noch schlimmer für meine Seele, wenn ich es sage.
DIMITRIJA: Egal, es ist langweilig für uns. Langweilig! Du kannst nicht schlafen! Was für ein Wunder. Deine Mutter kann schlafen, träumt aber schlimme Träume. Das nimmt kein Ende. Warum fragt ihr nicht, wie es mir geht?
VERA: Möchtest du essen?
SIMON: Gib mir einen Schnaps.
VERA: Du hattest genug.
SIMON: Woher weißt du denn, wie viel genug für mich ist?
VERA: Ich weiß es.
SIMON: Ihr alle wisst besser als ich. Den ganzen Tag bediene ich solche, die mehr als ich wissen. Simon, einen Schnaps, Simon, einen Schnaps, Simon, ein Glas Wasser, Simon, ein Glas Wasser, Simon, nicht diesen Schnaps, den anderen Schnaps, Simon, schneller, Simon, halte durch, Simon, gib nicht auf, überall Simon, Simon für alles. Nun, reicht´s. Simon ist keine Maschine. Denn Simon hat auch eine Seele. Ihr sitzt da und gebt mir nicht mal ein Glas Schnaps. Und es ist euch langweilig, mir zuzuhören. Fickt euch ins Knie. Ich hole meine Mütze, ich begebe mich in die Berge (Er weint. Vera streichelt über seinen Kopf. Schenkt ihm Schnaps ein). Jetzt hältst du doch meinen Kopf, um mich zu trösten.
DIMITRIJA: Gut, dich wird deine Frau trösten, und wer wird mich trösten, dass ich euch geboren habe.
MARIJA: So dürften wir es nicht machen, es ist unser Hauspatronatsfest.
DIMITRIJA: Was für ein Hauspatronatsfest, was für ein verficktes Fest. Mit wem soll man das Hauspatronatsfest feiern. (Liest. Pause.) Heiliger Elija, verzeihe mir, aber du siehst auch selber mit welchem Pöbel ich hier zusammenlebe.
(Pause. Andreja tritt ein.)
ANDREJA: Guten Tag.
MARIJA: Guten Tag, mein Sohn.
ANDREJA: (Setzt sich an den Tisch) Rabotnichki haben die anderen 2:0 geschlagen. (Pause. Vera bringt ihm Essen. Stille.) Ist jemand hier gestorben? (Stille. Pause. Er isst.) Wann kommt der Priester?
MARIJA: Am Abend.
ANDREJA: Wie weit seid ihr mit dem Kochen?
MARIJA: Nur noch die Baklava.
ANDREJA: Ich habe Feinzucker mitgebracht.
MARIJA: Sei gesegnet.
ANDREJA: Heute habe ich geschuftet bis zum Verrecken. Alle mussten einkaufen gehen. Und der Meister hat mich mit dem Lehrling allein gelassen. Der Krämerladen ist nicht so klein. (Pause. Zu Dimitrija.) Was steht heute in den Zeitungen?
DIMITRIJA: Ich weiß es nicht.
ANDREJA: Wie, du weißt es nicht?
DIMITRIJA: Das, was für mich in der Zeitung steht, ist nicht gleich auch für dich.
ANDREJA: Und was steht für dich?
DIMITRIJA: Meine Sache.
ANDREJA: Komm schon Dimitrija, los, erheitere dich ein wenig.
DIMITRIJA: Dimitrija wird sich erst im Grab erheitern.
ANDREJA: Es ist noch genug Zeit bis zum Sterben.
DIMITRIJA: Ich weiß es nicht, wir fordern das heftig heraus. (Pause.)
ANDREJA: Wie geht es dir, Veralein?
VERA: Ich habe es leicht. Ich habe es am leichtesten. (Pause.)
ANDREJA: (Zu Simon) Und wie hast du es?
SIMON: Verarsche mich nicht, du weißt schon!
ANDREJA: Was ist denn so schlimm daran, dass ich fragte wie es dir geht?
SIMON: Du weißt es.
ANDREJA: Ich weiß es nicht.
SIMON: Soll ich es dir sagen?
ANDREJA: Sag es.
SIMON: Basta!
ANDREJA: Was ist denn jetzt?
SIMON: Basta. Ich bin älter als du und sage basta! Und wenn ich dir eine über den Mund klatsche, werden dich nicht mal die Russen retten.
ANDREJA: Lass die Russen in Ruhe.
SIMON: Du wirst verrecken im Gefängnis, aber ich komme dich nicht besuchen. Die Kommunisten sollen dir Essen bringen. Wenn jemand von ihnen überhaupt frei bleibt. Ihr könnt euch weiterhin im Dunkeln treffen, um eure Erinnerungsbücher zu füllen.
ANDREJA: Wir bereiten einen Streik vor.
SIMON: Eine Megaleistung.
ANDREJA: Es wird nicht wie gewöhnlich sein. Diesmal werden wir bis zum Knochen beißen. Davon wird er Gangrän kriegen. Die Brauerei, das Monopol, das Wettlokal.
SIMON: Ihr dribbelt nur herum. Wo bleiben die Tore?
ANDREJA: Wir bringen uns in Form mit Kondition, um die 90 Minuten auf dem Spielfeld durchzustehen. Die Tore werden auch kommen.
SIMON: Wann?
ANDREJA: Wenn du auch mitmachst! Das ist der Haken. Es gibt viele, die im Publikum sitzen, Sonnenblumenkerne knabbern und auf Tore warten. Aber man muss rennen. Rennen!
SIMON: Mein Arzt hat mir verboten zu rennen. (Pause.)
Ich könnte Linienrichter sein.
DIMITRIJA: Die Politik ist die Eintrittskarte. Und die Eintrittskarte ist der Eintritt in die Marthe. Und Marthe ist eine Hure. All das ist wie ein ständiges Besteigen. Ich hab diese Suppe gelöffelt. Ich verbiete, dass man in diesem Haus über Politik redet.
ANDREJA: Welche Politik? Das alles ist nur Geschwafel. Ihr seid Amateur-Politiker. Eure Politik ist das, was ihr in den abendlichen Zeitungen gelernt und gelesen habt.
SIMON: Und du wringst dir deine aus den Hoden Gottes heraus. Ech, Andreja, schwärme nicht herum. Wir alle waren mal in deinem Alter.
ANDREJA: Und ihr seid groß geworden und habt immer noch nicht genug im Kopf. (Stevo tritt ein.)
MARIJA: Guten Tag. (Stevo nickt mit dem Kopf.)
SIMON: Ihm fällt es sogar schwer, Guten Tag zu sagen.
DIMITRIJA: Er hat andere Gedanken. Er ist ein Philosoph. Mit zwei Jahren Handelsakademie kann er kaum den Kopf über den Schultern behalten. Wenn wir ihn auf die Universität gelassen hätten, würde er uns im Schlaf abschlachten.
MARIJA: Wirst du essen?
STEVO: Ich habe Cevapcici in der Kantine gegessen.
MARIJA: Hast du kein Zuhause?
STEVO: Im Restaurant schmeckt es köstlicher. (Pause.) Und ich werde für das Abendessen nicht da sein. (Pause.) Ich weiß, dass es unser Hauspatronatsfest ist, ich weiß, dass alle Verwandten, Nachbarn und Freunde kommen werden. Ich weiß, dass sie alle fragen werden, wo ich bin. Ich habe was zu erledigen.
MARIJA: Du weißt schon, es wäre das erste Mal, dass jemand abwesend ist am Tag des Hausheiligen?
STEVO: Ich gehe zum Empfang. (Pause.) Zum Empfang. Heute Morgen hat man mich eingeladen. Ich konnte nicht ablehnen. Es ist wichtig. Für mich ist es wichtig.
MARIJA: Du gehst nicht.
DIMITRIJA: Und wie geht das überhaupt, sie laden dich so kurzfristig ein und du rennst zum Empfang, obwohl es bei dir Zuhause eine Feierlichkeit gibt.
STEVO: Es geht!
DIMITRIJA: Wie?
STEVO: Einfach so! Mein Chef lud mich ein. Herr Herzog. Ein wichtiger Gast aus Deutschland kommt. Alle werden dort sein. Die Crème de la Crème von Skopje wird dort sein. Händler, Banker, Weltmenschen.
SIMON: Was für ein Fehler ist ihnen unterlaufen, dass sie dich einladen?
STEVO: Du wirst es bald sehen.
SIMON: Was, wachsen dir Hörner?
STEVO: Mir werden Flügel wachsen. Ihr werdet ein Fernrohr brauchen, um mich zu sehen.
SIMON: Wo wirst du denn hinfliegen?
STEVO: Ich habe eine Karriere vor mir. Eine Perspektive.
ANDREJA: Wer ist dieser Deutsche, der kommt?
STEVO: Ein wichtiger Mann von der Zentrale in Berlin. Mamma, bügelst du mir die schwarze Hose.
MARIJA: Ich lasse dich zu keinen Deutschen hingehen. Morgen ist Heiliger Elija.
STEVO: Vera, bitte, wirst du das um Gottes willen für mich erledigen.
SIMON: Zuerst musst du mich fragen, ob sie dir die Hose bügeln darf.
STEVO: Darf deine Frau mir die schwarze Hose bügeln?
SIMON: Nein, darf sie nicht. (Zu Vera) Du darfst nicht den Bügeleisen in die Hand nehmen. (Zu Stevo.) Hole deine Lile, sie kann dir was bügeln.
ANDREJA: Und dieser Deutsche, ist er früher mal da gewesen?
STEVO: Ich weiß es nicht. Nein.
ANDREJA: Wie heißt er?
STEVO: Hermann Klaus. Was willst du noch wissen? Welche Größe hat die Unterhose, die er trägt. Ich weiß es nicht.
DIMITRIJA: Und was willst du denn auf diesem Empfang?
STEVO: Wenn du es einmal geschafft hast, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein, dein ganzes Leben wird wie geschmiert verlaufen.
MARIJA: Ich bin dir böse, Stevo. Ich bin böse.
STEVO: Sei du nur böse, Mutter, sowieso weiß ich nicht, wie ich dir manche Sachen erklären soll.
MARIJA: Du kannst mir gar nichts erklären, auch wenn du es möchtest.
(Klopfen an die Tür. Marija macht auf. An der Tür steht der Priester.)
DER PRIESTER: Guten Tag.
MARIJA: Guten Tag. Sie sind aber ziemlich früh da, Herr Priester.
DER PRIESTER: Viele Häuser, viel Arbeit hat sich angestaut. Jetzt konnte ich und jetzt kam ich.
MARIJA: Wir sind noch nicht bereit.
DER PRIESTER: Was soll bereit sein? Habt ihr den Kuchen?
MARIJA: Wir sind nicht gewaschen. Herausgeputzt.
DIMITRIJA: Wir sagten doch um sieben.
DER PRIESTER: Sagten wir.
DIMITRIJA: Jetzt ist es drei.
DER PRIESTER: (Sieht auf die Uhr.) Viertel nach drei. Ich weiß, Meister Dimitrie. Nicht was gesagt, sondern was getan wird, zählt.
DIMITRIJA: Für mein Geld will ich einen Priester um sieben.
DER PRIESTER: Lade keine Sünden auf deine Seele, Meister. Der Gottesdienst findet immer und überall statt. Es hängt weder vom Ort noch von der Zeit ab. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe um sieben.
DIMITRIJA: Du schaffst es, du schaffst es.
DER PRIESTER: Hör mal, Meister Dimitrija, versetze dich in meine Position.
DIMITRIJA: Ich versetze mich, Priester, aber versetze du dich mal in die meinige. Du tust uns das immer an. Zu den Reichen gehst du immer abends, zu uns morgens.
DER PRIESTER: Wie morgens, Meister Dimitrie? Drei Uhr zwanzig am Nachmittag.
DIMITRIJA: Und letztes Jahr um acht Uhr morgens? Als hättest du auf der Treppe geschlafen. Man merkt sich alles.
DER PRIESTER: So ist es, Hausherrin. Her mit dem Kuchen. (Man bringt ihm den Kuchen.) Nun, priesterlich und friedlich erledigt. Auf die Zukunft des Tages, Glückwunsch. Kommt alle um den Tisch herum. (Alle sammeln sich um den Tisch.) Heiliger Elija, wir bitten um deinen Schutz und Geborgenheit, helfe uns, führe uns mit deiner Kraft. Gnädiger Gott, lass uns nie alleine, lass den Feind unserer Erlösung nicht zu uns kommen und uns hinrichten. Nennt mir die Toten.
MARIJA: Lena, Anastas, Spasija ...
DER PRIESTER: Lena, Anastas, Spasija ...
MARIJA: Gjorgji, Marko, Trajan ...
DER PRIESTER: Gjorgji, Marko, Trajan ...
MARIJA: Petre und Evda.
DER PRIESTER: Petre und Evda.
SIMON: Und Simon.
DER PRIESTER: Und Simon.
MARIJA: Welcher Simon? Kein Simon.
DER PRIESTER: Kein Simon. (Nimmt den Kuchen, gibt ihn Dimitrie. Nimm Andreja an die Hand und stellt seine Hand auf eine Seite des Kuchens. Andreja nimmt Simon an die Hand und reicht ihm den Kuchen rüber. Der Priester schneidet den Kuchen im Kreuz.) Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen.
ALLE: Amen.
DER PRIESTER: (Nimmt alle an die Hand. Kreisen dreimal um den Tisch herum.) Befreie uns Herr, von unnötigen Sorgen und erleuchte unsere Freuden. Stärke uns, wenn wir schwach sind und traurig. Sei mit uns in schweren Stunden der Qual und Trauer, des Zögerns und der Angst und erleichtere uns die Tränen und die Qualen. Heile unsere versteckten Schmerzen und seelischen Wunden, die Du als einziger siehst. Gnädiger Herr, lasse uns nie alleine. (Der Priester führt sie zu schnell. Dimitrija hat es schwer mit dem Rollstuhl mitzuhalten. Er schwankt. Der Kuchen fällt herunter und bricht.)
MARIJA: Oh Weh!
DIMITRIJA: Wie hältst du ihn denn, Simon, bist du betrunken?
SIMON: Ich bin betrunken, aber ich habe ihn gut gehalten. Du hast ihn heruntergelassen.
DER PRIESTER: Nichts Schlimmes. Des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen. Also, auf eine lange Zukunft. (Pause. Stille.) Los, worauf wartet ihr, sammelt den Kuchen zusammen.
MARIJA: Wie konnte er so zerbrechen?
DER PRIESTER: Er fiel herunter, er zerbrach.
MARIJA: Wie konnte er so fallen?
DER PRIESTER: Keine Sorge, Marija. Wichtig ist, dass man in der Gnade Gottes lebt. (Marija sammelt den Kuchen.)
DIMITRIJA: Ist das alles, Priester?
DER PRIESTER: Alles.
DIMITRIJA: Magst du ein Gläschen Schnaps?
DER PRIESTER: Man fragt nur einen Kranken. (Dimitrija schenkt ein.)
SIMON: Ein Gläschen hier, ein Gläschen dort, du hast es aber heiter, nicht, Priester? Die ganze Zeit siehst du Gott. (Der Priester trinkt auf Ex.) Aha! Denkst du etwa, wenn es schnell ist, zählt nicht?
DIMITRIJA: (Gibt dem Priester Geld.) Nächstes Jahr abends um sieben.
DER PRIESTER: Keine Frage.
DIMITRIJA: Nein, keine Frage! Es sollte doch fraglich sein.
DER PRIESTER: Bis dahin mögen wir gesund und wohlauf sein. Alles Gute.
MARIJA: Alles Gute, Herr Priester. (Der Priester tritt aus. Sie begleitet ihn zur Tür.)
ANDREJA: (Zu Simon.) Warum hast du deinen Namen bei den Toten genannt?
SIMON: Für alle Fälle.
(Marija kommt zurück. Aco ist mit ihr.)
MARIJA: Komm herein, Aco, komm.
ACO: Ich kann nicht lange bleiben. Ich habe nur einige Worte zu Andreja zu sagen. (Andreja geht zu Aco. Sie reden miteinander. Pause.)
ANDREJA: Mamma, ich gehe dann.
MARIJA: Du auch, wohin denn?
ANDREJA: Arbeit. Es kam was dazwischen.
MARIJA: Wie, es kommt was dazwischen? Immer kommt was dazwischen. Aco, komm einfach herein, stehe nicht an der Tür. Wir haben den Hausheiligen heute. Nimm ein Plätzchen. Trink was.
ACO: Wir haben es eilig, Tante Marija.
MARIJA: Ich weiß, dass ihr es eilig habt. Eilt trotzdem. Niemals kann man etwas langsam erledigen. Wohin geht ihr?
ACO: Arbeiten.
MARIJA: Ihr kommt doch zum Abendessen zurück?
ACO: Ich denke schon. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass wir lange bleiben.
MARIJA: Du denkst. Du weißt es nicht. Du glaubst nicht.
ACO: (Zu Stevo.) Der LKW, den ich fahre, ist auf Wartung bei euch. Bitte fest in Form bringen.
STEVO: Keine Sorge. Wir sind eine richtige Firma.
SIMON: Sie werden ihn so gut reparieren, du wirst ihn nicht wiedererkennen.
ACO: Klar, das ist mein Brotjob.
DIMITRIJA: Ihr geht streiken, ha?
ANDREJA: Ja, Willst du mitkommen? (Pause.) Na gut, auf Wiedersehen. (Treten ab.)
MARIJA: Auf Widersehen. (Pause.) Das heißt, nur du bleibst heute Abend da, Simon. Warum nimmst du nicht deine Frau an die Hand? Geht irgendwohin, Musik hören.
SIMON: Ich bin so betrunken, dass es egal ist.
MARIJA: (Zu Stevo.) Lile ist da.
STEVO: Es interessiert mich nicht.
MARIJA: Sie fragt, ob sie irgendwas helfen könnte.
STEVO: Ich sagte, es interessiert mich nicht.
MARIJA: Sie sagte, schönen Gruß. (Stevo geht aus dem Zimmer. Pause.) Als ihr klein wart, habe ich euch einen Tag vor dem Hausheiligen gebadet, schöngemacht und ins Bett gebracht. Ihr konntet nicht einschlafen und lachtet bis spät in der Nacht. Ihr wolltet im Voraus alle Eintöpfe verkosten. Die Töpfe köchelten die ganze Nacht. Und jetzt lacht ihr nicht mehr. Und esst in Gaststätten.
(Pause. Dimitrija hackt ein Stück Holz mit dem Taschenmesser. Vera putzt. Marija sitzt und sieht vor sich hin. Pause.)
SIMON: (Singt) Sechs Monate, ein halbes Jahr
fünf Finger an der Hand
vier Euter hat die Kuh
drei Füße der Dreifuß
zwei Augen hat der Kopf
eine ist meine Nachtigall, die den Monat Mai verfrüht.